Stell dir vor, deine Schüler*innen könnten sich ohne ständige Anleitung neues Wissen erschließen, eigenständig Probleme lösen und selbstreflektiert ihre Lernziele erreichen. Klingt utopisch? Vielleicht. Doch genau hier liegt der Schlüssel zu nachhaltigem Lernerfolg im Klassenzimmer. In einer Welt, in der Informationen jederzeit zugänglich sind, besteht deine Aufgabe darin, den Weg für selbstreguliertes Lernen freizumachen.

Selbstreguliertes Lernen bedeutet, dass Schüler*innen ihre Ziele selbstständig setzen, Lernstrategien auswählen und ihren Lernprozess kontinuierlich überwachen. Barry J. Zimmerman (2000), einer der führenden SRL-Forscher, betont, dass diese Fähigkeiten essenziell sind, um Verantwortung für das eigene Lernen zu übernehmen. Doch die eigentliche Frage lautet: Wie können wir diese Prinzipien erfolgreich in unseren Unterricht integrieren?

Eine Meta-Analyse von Binnur & Kanadli (2017) zeigte, dass der Einsatz von selbstregulierten Lernstrategien einen großen Einfluss auf den schulischen Erfolg hat (d = 0.859). Diese Strategien wirken sich in allen Fächern und Altersstufen positiv auf die akademische Leistung aus.

In einem meiner Projekte konnte ich dies hautnah erleben: Ein offenes Minecraft-Projekt verdeutlichte, wie Selbstregulation nicht nur die akademische Leistung verbessert, sondern auch das Engagement und die Eigenverantwortung fördert.

Ein Projekt: Europäische Grenzen in Minecraft

Das achtmonatige Projekt forderte die Schüler*innen auf, eine realistische Nachbildung der europäischen Ländergrenzen in Minecraft zu erstellen. Dabei mussten sie sich selbstständig mit geografischen und politischen Aspekten auseinandersetzen und ihre Arbeit sowohl zu Hause als auch in der Schule fortsetzen. Trotz technischer Herausforderungen (Minecraft war nicht auf den Schulgeräten verfügbar) arbeiteten die Schüler*innen freiwillig weiter – und lernten dabei, ihre Lernstrategien selbst zu entwickeln.

Dieses Projekt war eine wahre Lernreise. Zu Beginn setzten sich die Schüler*innen individuelle Ziele: Einige konzentrierten sich auf die korrekte Platzierung der Hauptstädte, andere wollten geografische Merkmale wie Flüsse und Gebirge darstellen. Diese Zielsetzung weckte nicht nur das Interesse, sondern auch die Verantwortung für das eigene Lernen.

Die Freiheit, ihre eigenen Strategien zu wählen, stärkte das Selbstbewusstsein der Schüler*innen. Während einige eine farbliche Kodierung verwendeten, um die Ländergrenzen darzustellen, nutzten andere Flaggen, um kulturelle Identität widerzuspiegeln. Die Wahlfreiheit ermöglichte es ihnen, kreative Lösungen zu finden und ihre Entscheidungsfähigkeit zu stärken.

Ein entscheidender Aspekt war die kontinuierliche Reflexion: Die Schüler*innen dokumentierten ihren Fortschritt, hielten Herausforderungen fest und passten ihre Herangehensweisen an. Diese Reflexionsfähigkeit, eine zentrale Komponente des SRL, half ihnen, ihre Lernentwicklung bewusst zu steuern.

by Kristin

Die Ergebnisse dieses Projekts lassen sich durch die Ergebnisse der Metaanalyse von Dent & Koenka (2016) untermauern. Hier zeigte sich, dass metakognitive Prozesse wie das Planen und Überwachen des Lernfortschritts einen signifikanten Einfluss auf den schulischen Erfolg haben (r = 0.20) . Indem wir Schüler*innen dazu anregen, ihre eigenen Lernstrategien zu reflektieren, können wir den Lernprozess effektiver und nachhaltiger gestalten.

Natürlich ist die Umsetzung von selbstregulierten Lernen nicht ohne Herausforderungen. Eine davon war, die Eltern einzubeziehen, da Minecraft nicht auf den Schul-iPads verfügbar war. Durch klare Kommunikation über den Mehrwert des Projekts und den notwendigen Beitrag der Eltern gelang es jedoch, ein unterstützendes Umfeld zu schaffen. Ein weiteres Problem bestand darin, dass das Lernen außerhalb der Schule attraktiver erscheinen könnte. Hier gilt es, ein Gleichgewicht zu schaffen und den Schüler*innen zu zeigen, dass sowohl das Lernen in der Schule als auch zu Hause wertvoll sind und sich gegenseitig ergänzen.

Selbstreguliertes Lernen ist mehr als nur eine Methode – es ist der Schlüssel zu einem nachhaltigeren Lernerfolg. Indem du Raum für Selbstregulation schaffst, gibst du deinen Schüler*innen die Möglichkeit, eigenverantwortlich und reflektiert zu lernen. Das Minecraft-Projekt zeigt, wie mächtig dieser Ansatz sein kann: Schüler*innen lernen nicht nur den Stoff, sondern auch, wie sie ihren eigenen Lernprozess steuern können – eine unschätzbare Fähigkeit für die Zukunft.

In Zeiten der Digitalisierung ist es entscheidender denn je, deine Schüler*innen auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten. Die Frage ist nicht, ob sie Informationen abrufen können, sondern ob sie die Kompetenzen haben, diese sinnvoll zu nutzen. Selbstreguliertes Lernen ist der Weg dorthin. Schaffst du den Raum dafür?

Reflexionsfragen:

  1. Wie siehst du deine eigene Rolle als Lehrkraft in einem Unterricht, der verstärkt auf selbstreguliertes Lernen setzt? Was müsste sich an deiner Herangehensweise ändern?
  2. Welche Strategien könntest du anwenden, um selbstreguliertes Lernen in deinem Unterricht zu fördern? Gibt es bereits erfolgreiche Ansätze in deinem Unterricht, die du weiterentwickeln möchtest?
  3. Das Minecraft-Projekt zeigt, wie individuelle Zielsetzung das Engagement fördert. Welche Möglichkeiten siehst du, individuelle Ziele in deinen Unterricht zu integrieren, um das Verantwortungsbewusstsein der Schüler*innen zu stärken?
  4. Inwieweit könnten Reflexionsprozesse, wie sie im Text beschrieben werden, in deinem Unterricht etabliert werden? Welche Methoden würdest du verwenden, um die Reflexionsfähigkeit deiner Schüler*innen zu fördern?
  5. Welche Herausforderungen erwartest du, wenn du deinen Schüler*innen mehr Freiheit in der Wahl ihrer Lernstrategien lässt? Wie könntest du diese Herausforderungen in positive Lernerfahrungen umwandeln?
  6. Was könnte ein erster kleiner Schritt sein, um selbstreguliertes Lernen in deinem Unterricht zu fördern? Wie würdest du diesen Schritt umsetzen?

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