Ich höre immer wieder von Lehrkräften: „Selbstreguliertes Lernen (SRL) – das klingt ja toll, aber in einem Fach wie Mathematik ist das doch einfach schwer umzusetzen.“ Verständlich, denn Mathematik bringt einige Herausforderungen mit sich: abstrakte Konzepte, komplexe Lösungswege und häufig auch das Gefühl, dass es nur „den einen richtigen Weg“ gibt. Doch gerade hier bietet SRL enorme Chancen, denn selbstreguliertes Lernen fördert nicht nur das Verständnis von Formeln und Verfahren, sondern hilft den Schüler*innen auch dabei, eigenständig Problemlösestrategien zu entwickeln und diese reflektiert anzuwenden. Aber wie gelingt der Schritt vom Frontalunterricht zum selbstregulierten Lernen im Mathematikunterricht? In diesem Beitrag stellen wir drei praxisorientierte Ideen vor, wie SRL auch im Mathematikunterricht erfolgreich umgesetzt werden kann – von Entdeckeraufgaben über Lerntagebücher hin zu handlungsorientierten Lernboxen.

Praxisbeispiel 1: Entdeckeraufgaben statt vorgefertigter Lösungswege

Entdeckeraufgaben sind Aufgabenformate im Mathematikunterricht, die darauf abzielen, Schüler*innen zum eigenständigen Entdecken mathematischer Strukturen und Zusammenhänge zu motivieren. Sie fördern das aktive Lernen, indem sie die Lernenden dazu anregen, Muster zu erkennen, Hypothesen zu formulieren und diese zu überprüfen (da Ponte et al., 2013).

Merkmale von Entdeckeraufgaben:

  1. Offenheit: Entdeckeraufgaben sind oft so gestaltet, dass sie mehrere Lösungswege oder -strategien zulassen. Dies ermöglicht den Schüler*innen, eigene Zugänge zu finden und kreativ zu denken.
  2. Forschendes Lernen: Die Aufgaben ermutigen die Schüler*innen, Fragen zu stellen, Vermutungen aufzustellen und diese systematisch zu untersuchen.
  3. Bezug zu mathematischen Strukturen: Sie zielen darauf ab, grundlegende mathematische Konzepte und Beziehungen zu verdeutlichen, indem sie die Schüler*innen dazu bringen, diese selbst zu entdecken.
  4. Förderung von Metakognition: Durch die Reflexion über eigene Lösungswege und Strategien wird das Bewusstsein für den eigenen Lernprozess gestärkt.

Sekundarstufe I (Klasse 7-8): Der Preisanstieg bei Handys

Die Schüler*innen sollen sich folgendes Szenario vorstellen „Stellt euch vor, ein neues Smartphone wird jedes Jahr teurer. Das erste Modell kostet 500€, im nächsten Jahr 550€, im dritten Jahr 600€.“ Sie erhalten die Aufgabe „Finde heraus, wie sich der Preis in den nächsten Jahren entwickeln wird und veranschauliche deine Vermutung.“

Grundschule (Klasse 3-4): Finde ein Muster

Die Schüler*innen sehen mehrere Reihen von Punkten, die in Vierecken (z.B. ein 2×3, 3×3 und 4×3 Punkte-Array) angeordnet sind. Sie erhalten die Aufgabe „Versuche, ein Muster zu erkennen und zu erklären, wie viele Punkte in den nächsten Reihen sein werden, wenn wir die Vierecke weiter vergrößern.“

Praxisbeispiel 2: Lerntagebücher für die Reflexion

Lerntagebücher sind ein wertvolles Werkzeug, um die Reflexion der eigenen Lernfortschritte zu unterstützen.

Sekundarstufe I (Klasse 7-8): Brüche und Dezimalzahlen

Die Schüler*innen reflektieren regelmäßig über ihr Vorgehen und ihre Schwierigkeiten. Dieses Lerntagebuch hilft ihnen, den Lernprozess in der Mathematik selbstkritisch zu begleiten und Strategien zu entwickeln, um ihre Lernschritte besser zu organisieren. Folgende Fragen können die Reflexion unterstützen:

  • Vor dem Lernen: „Welche Fragen habe ich zu Brüchen und Dezimalzahlen? Gibt es etwas, das mir besonders schwerfällt?“
  • Während des Lernens: „Welche Strategien verwende ich, um die Umwandlung zu verstehen? Was mache ich, wenn ich eine Aufgabe nicht sofort lösen kann?“
  • Nach dem Lernen: „Welche Konzepte habe ich heute gut verstanden? Gibt es etwas, das ich noch einmal wiederholen sollte? Wie kann ich diese Konzepte beim Rechnen im Alltag anwenden?“

Grundschule (Klasse 3-4): Multiplikation

Für die Grundschule ist das Lerntagebuch einfach und konkret gehalten. Das Ziel ist, dass die Schüler*innen beginnen, über ihr Lernen nachzudenken und positive Lernstrategien zu entwickeln, indem sie merken, was ihnen besonders gut liegt oder wo sie noch Unterstützung brauchen. Folgende Fragen können die Reflexion unterstützen:

  • Vor dem Lernen: „Was weiß ich schon über die Multiplikation oder das Malnehmen? Was möchte ich heute lernen?“
  • Während des Lernens: „Wie habe ich das Einmaleins heute geübt? Welche Zahlen habe ich mir leicht/schwer gemerkt? Gibt es Tricks, die mir helfen?“
  • Nach dem Lernen: „Welche Rechenwege haben mir geholfen? Was kann ich noch üben? Welche Zahlenreihen kenne ich schon gut?“

Praxisbeispiel 3: Lernboxen für die selbstständige Erarbeitung mathematischer Themen

Lernboxen sind ein effektives Werkzeug, um selbstreguliertes Lernen in der Mathematik zu fördern, da sie Materialien und Aufgaben bereitstellen, die es den Schüler*innen ermöglichen, sich Themen eigenständig zu erschließen.

Sekundarstufe I (Klasse 7-8): Lineare Funktionen

Für das Thema „Lineare Funktionen“ könnte eine Lernbox so aufgebaut sein, dass die Schüler*innen eigenständig durch verschiedene Teilaufgaben arbeiten. Mögliche Materialien:

  • Reflexionsaufgaben: Aufgaben zur Reflexion und Selbstüberprüfung, bei denen die Schüler*innen ihre Strategien beschreiben und auf ihre Verständlichkeit prüfen.
  • Einführungsmaterialien: Arbeitsblätter und interaktive GeoGebra-Dateien zur Visualisierung von Geraden und deren Steigungen.
  • Entdeckeraufgaben: Die Schüler*innen könnten verschiedene lineare Funktionen ausprobieren und beobachten, wie Änderungen der Parameter m und b die Lage und Steigung der Geraden beeinflussen.
  • Anwendungsaufgaben: Berechnungen von Steigungen realer Objekte (z.B. Rampen, Straßen) oder die Untersuchung von proportionalen und nicht-proportionalen Zusammenhängen im Alltag (z.B. Taxi-Preisgestaltung).

Grundschule (Klasse 3-4): Formen und Figuren

Für das Thema „Formen und Figuren“ könnte eine Lernbox so aufgebaut sein, dass sich die Schüler*innen eigenständig die verschiedenen Eigenschaften von geometrischen Formen kennenlernen. Mögliche Materialien:

  • Selbstreflexion: Ein Mini-Lerntagebuch, in dem sie aufschreiben, was sie über die Formen gelernt haben, oder eine Aufgabe, bei der sie beschreiben, wie sie verschiedene Formen in ihrem Alltag entdecken können.
  • Erkundungsmaterialien: Spielmaterialien wie ausgeschnittene Formen (Quadrat, Rechteck, Dreieck, Kreis), die die Kinder anordnen und vergleichen können.
  • Sortieraufgaben: Die Schüler*innen könnten Formen nach Merkmalen wie Anzahl der Ecken oder Seiten sortieren und eigene Kategorien finden, um sie zu ordnen.
  • Konstruktionsaufgaben: Anleitungen und Materialien, um aus Papier einfache Formen zu falten und zu gestalten, etwa Würfel oder andere einfache Körper, wodurch sie Geometrie spielerisch erleben.

Fazit – Warum SRL im Mathematikunterricht sinnvoll ist

Mathematik ist ein Fach, das von den Schüler*innen eine hohe Fähigkeit zur Problemlösung und Abstraktion fordert. Durch selbstreguliertes Lernen lernen sie nicht nur die fachlichen Inhalte, sondern auch, wie sie ihren Lernprozess aktiv steuern können. Mit praxisnahen Materialien und handlungsorientierten Aufgabenstellungen lassen sich diese Prinzipien im Mathematikunterricht gezielt umsetzen und geben den Schüler*innen Raum für selbstständiges Arbeiten. Das Ziel ist, dass Schüler*innen mit der Zeit mehr Verantwortung für ihren Lernprozess übernehmen und eine positive Haltung zum Lernen entwickeln – und das ist ein Gewinn, der weit über das Mathematiklernen hinausgeht.

Literatur

da Ponte, J. P., Mata-Pereira, J., Henriques, A. C., & Quaresma, M. (2013). Designing and using exploratory tasks. ICMI study, 22, 491-500.


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