Mit der rasanten Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) entstehen nicht nur spannende Möglichkeiten für das Lernen, sondern auch neue Anforderungen an die Kompetenzen der Lernenden. Eine der größten Herausforderungen ist, dass KI-gestützte Tools verantwortungsvoll und effektiv genutzt werden. Hier kommt das selbstregulierte Lernen ins Spiel: Die Fähigkeit, das eigene Lernen zu steuern, ist entscheidend, um KI sinnvoll in Lernprozesse zu integrieren. Gleichzeitig bietet KI auch Unterstützungspotenzial für das selbstregulierte Lernen. In diesem Beitrag betrachten wir, wie diese beiden Aspekte zusammenhängen und sich gegenseitig verstärken können.

Selbstreguliertes Lernen als Grundlage für den sinnvollen Einsatz von KI

Selbstreguliertes Lernen umfasst die Fähigkeit, eigene Lernziele zu setzen, den Lernprozess zu planen, Strategien anzuwenden und die eigenen Fortschritte zu reflektieren (Zimmerman, 2002). Diese Kompetenzen sind notwendig, um KI-Tools eigenständig und kritisch zu nutzen und sich nicht allein auf deren „intelligente“ Lösungen zu verlassen.

Praxisbeispiel: Recherche und Informationsbewertung

Stellen Sie sich vor, eine Schülerin nutzt ein KI-Tool, um Informationen zu einem historischen Thema zu recherchieren. Ohne selbstregulierte Lernfähigkeiten könnte sie geneigt sein, das erste Ergebnis als wahr und umfassend anzunehmen, ohne es zu hinterfragen. Eine selbstregulierte Herangehensweise würde jedoch bedeuten, dass sie die Suchergebnisse kritisch analysiert, die Quellen hinterfragt und die Relevanz der Informationen für ihre spezifische Fragestellung reflektiert.

Dabei spielen kognitive und metakognitive Strategien eine große Rolle, denn sie helfen den Schüler*innen, den Rechercheprozess effektiver und reflektierter zu gestalten. Diese beiden Strategiearten greifen dabei ineinander und unterstützen den selbstregulierten Umgang mit dem KI-Tool.

Kognitive Strategien
Kognitive Strategien beziehen sich auf die aktiven Denk- und Lernprozesse, die die Schülerin anwendet, um die Informationen zu verarbeiten, die sie über das KI-Tool erhält (Dunlosky, Rawson, Marsh, Nathan & Willingham, 2013). In diesem Fall umfassen die kognitiven Strategien:

  • Verstehendes Lesen und Informationsverarbeitung: Die Schülerin muss die Inhalte der Suchergebnisse verstehen und die wesentlichen Informationen aus dem Text extrahieren. Dazu gehört, Schlüsselbegriffe und zentrale Aussagen zu identifizieren und zu verknüpfen.
  • Strukturieren und Ordnen: Sie kategorisiert und ordnet die Informationen, um die wesentlichen Inhalte herauszuarbeiten und mögliche Muster oder Verbindungen zum historischen Thema zu erkennen. Dies könnte auch die Identifikation von Haupt- und Nebenaspekten umfassen.
  • Zusammenfassen und Anwenden: Schließlich fasst die Schülerin die gesammelten Informationen in eigenen Worten zusammen und setzt sie in Bezug zu ihrer Fragestellung. Diese kognitive Arbeit bildet die Grundlage für das Verstehen und die Weiterverarbeitung der Rechercheergebnisse.

Metakognitive Strategien
Metakognitive Strategien helfen der Schülerin, ihren eigenen Lern- und Rechercheprozess zu überwachen und zu steuern und sind für das selbstregulierte Lernen von essenzieller Bedeutung (Akamatsu, Nakaya & Koizumi, 2019). Sie umfassen:

  • Planen: Die Schülerin setzt sich vorab ein Ziel, etwa eine spezifische Fragestellung, die sie während der Recherche beantwortet haben möchte. Dies könnte die gezielte Wahl von Suchbegriffen oder die Entscheidung, nur verlässliche Quellen zu berücksichtigen, beinhalten.
  • Überwachen und Bewerten: Während der Recherche reflektiert die Schülerin ständig, ob die gefundenen Informationen relevant und verlässlich sind. Das bedeutet, dass sie die Quellen kritisch hinterfragt (z. B. Autorität der Quelle, Veröffentlichungsdatum) und abwägt, ob die Informationen zur Beantwortung ihrer Fragestellung beitragen. Sie bemerkt eventuell, dass die Informationen nur eine Perspektive abdecken und sucht gezielt nach weiteren Quellen.
  • Regulieren: Basierend auf ihren Reflexionen passt sie ihren Rechercheprozess gegebenenfalls an. Falls die Informationen nicht ausreichen oder zu einseitig sind, entscheidet sie sich für eine erneute oder gezieltere Suche. Diese Anpassung ist ein aktiver metakognitiver Schritt, der die Effizienz und Qualität der Recherche steigert.

Zusammenspiel der Strategien im KI-gestützten Lernen
In einem KI-gestützten Umfeld arbeiten kognitive und metakognitive Strategien zusammen, um die Schülerin zu einem reflektierten Umgang mit den Ergebnissen des KI-Tools anzuleiten. Die kognitiven Strategien helfen ihr dabei, die Inhalte zu verarbeiten, während die metakognitiven Strategien sie dazu befähigen, ihren Prozess zu kontrollieren und anzupassen. Dies führt zu einer tieferen Auseinandersetzung mit dem Lernstoff und schützt davor, dass die Schülerin unreflektiert das erste Ergebnis akzeptiert.

Für die Lehrkraft bietet es sich an, diese Strategien explizit zu fördern und mit der Schülerin durch gezielte Reflexionsfragen (z. B. „Wie verlässlich schätzt du diese Quelle ein?“) zu trainieren, um so die Verbindung zwischen selbstreguliertem Lernen und KI-gestütztem Wissenserwerb zu stärken.

KI als Unterstützung für selbstreguliertes Lernen

KI bietet Lehrkräften die Möglichkeit, das selbstregulierte Lernen durch personalisierte Unterstützung zu fördern. KI-Systeme können Lernenden eine Rückmeldung geben, ihren Lernstand analysieren und maßgeschneiderte Inhalte bereitstellen. Hier kann KI wie eine Art persönlicher Lerncoach wirken, der Lernende beim Planen, Durchführen und Reflektieren ihrer Lernschritte unterstützt.

Praxisbeispiel: Lernen von Mathematik mit KI-Feedback

Nehmen wir an, ein Schüler arbeitet an mathematischen Aufgaben, die von einer KI-gestützten Lernplattform unterstützt werden. Die KI erkennt, wenn er bestimmte Lösungsstrategien häufig anwendet oder wiederholt Fehler macht, und gibt ihm individuelles Feedback. In einem selbstregulierten Lernprozess könnte der Schüler diese Rückmeldung nutzen, um sich bewusst auf das Üben spezifischer Schwächen zu konzentrieren, etwa durch die gezielte Wiederholung von Aufgaben oder das Einüben neuer Lösungswege. Die KI begleitet diesen Prozess, indem sie die Fortschritte dokumentiert und darauf basierend weitere Lernangebote macht.

Lehrkräfte können dies gezielt fördern, indem sie den Schülern Methoden und Werkzeuge zur Reflexion des KI-Feedbacks an die Hand geben. Beispielsweise könnten Schüler ein Lernjournal führen, in dem sie festhalten, welche Schwierigkeiten sie hatten und welche Fortschritte sie durch gezielte Übung gemacht haben.

Herausforderungen im Klassenzimmer

Die Verknüpfung von selbstreguliertem Lernen und KI birgt viele Chancen, aber auch Herausforderungen für den Unterrichtsalltag:

Übermäßige Abhängigkeit von KI: Eine Gefahr besteht darin, dass Lernende zu stark auf KI-Lösungen vertrauen und ihre eigenen Fähigkeiten in den Hintergrund stellen. Hier ist es entscheidend, dass Lehrkräfte den Lernenden vermitteln, dass KI ein Werkzeug ist, das reflektiert eingesetzt werden muss. Ein Beispiel könnte sein, dass die Schüler nach der KI-gestützten Lösung einer Aufgabe die Schritte noch einmal selbst durchgehen, um den Lernprozess zu vertiefen.

Technische Hürden und Differenzierung: Nicht alle Schülerinnen und Schüler haben dieselben Zugänge zu digitalen Tools oder sind gleich technikaffin. Diese Unterschiede zu überbrücken und sicherzustellen, dass alle Lernenden gleichermaßen von KI-Angeboten profitieren können, stellt eine Herausforderung dar. Lehrkräfte können hier helfen, indem sie regelmäßige Reflexionsrunden einplanen und Lernende ermutigen, ihre Erfahrungen und Schwierigkeiten zu teilen.

Komplexität der Feedback-Nutzung: KI gibt in vielen Fällen direktes Feedback, doch es erfordert ein gewisses Maß an selbstreguliertem Lernen, dieses Feedback effektiv zu nutzen. Lehrkräfte könnten dabei unterstützen, indem sie die Schüler anleiten, wie man Feedback systematisch auswertet und in den Lernprozess integriert. Beispielsweise könnte ein Leitfaden zur Reflexion und Bewertung von Feedback helfen, das die Lernenden nutzen können.

Fazit: Eine symbiotische Beziehung

Das selbstregulierte Lernen und die Nutzung von KI können sich gegenseitig positiv beeinflussen. Selbstregulierte Lernkompetenzen sind eine Grundvoraussetzung für den reflektierten Umgang mit KI – die Fähigkeit, sich selbst zu steuern, schützt davor, sich zu sehr auf die „intelligenten“ Systeme zu verlassen. Gleichzeitig kann KI das selbstregulierte Lernen bereichern, indem sie Lernende unterstützt, personalisierte Rückmeldung gibt und so eine engere Verknüpfung von Lernen und Reflexion ermöglicht.

Für Lehrkräfte bedeutet dies, dass sie beide Bereiche als symbiotische Einheiten betrachten und fördern sollten. Es ist eine Chance, die Lernenden auf eine neue Art und Weise zu begleiten – in der Welt von KI und selbstreguliertem Lernen.

Literatur

Akamatsu, D., Nakaya, M., & Koizumi, R. (2019). Effects of metacognitive strategies on the self-regulated learning process: The mediating effects of self-efficacy. Behavioral Sciences9(12), 128.

Dunlosky, J., Rawson, K. A., Marsh, E. J., Nathan, M. J., & Willingham, D. T. (2013). Improving students’ learning with effective learning techniques: Promising directions from cognitive and educational psychology. Psychological Science in the Public interest14(1), 4-58.

Zimmerman, B. J. (2002). Becoming a self-regulated learner: An overview. Theory into practice41(2), 64-70.


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