Die zunehmende Präsenz Künstlicher Intelligenz in allen Lebensbereichen erfordert eine grundlegende Neuausrichtung der Bildungsziele bereits in der Grundschule. Wie das von Joscha Falck, Susanne Alles, Regina Schulz und Manuel Flick entwickelte Kompetenzmodell zeigt, sollen Grundschüler:innen nicht nur oberflächlich mit KI-Technologien bekannt gemacht werden, sondern diese aktiv verstehen, anwenden und kritisch reflektieren können. Dies stellt uns jedoch vor eine entscheidende Herausforderung: Die traditionellen Grundkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen müssen neu gedacht und um digitale Dimensionen erweitert werden.

Ein Kind, das zwar klassische Texte lesen kann, aber nicht zwischen menschlich verfassten und KI-generierten Inhalten unterscheiden kann, weist eine fundamentale Lücke in seiner Literalität auf. Ebenso benötigen Kinder heute Grundlagen im algorithmischen Denken, im kritischen Umgang mit Medien sowie in der kreativen Nutzung digitaler Werkzeuge. Diese Erkenntnisse führen zu vier zentralen Anforderungen an eine zeitgemäße Grundbildung:

  1. Lesen, Schreiben und Rechnen neu gedacht: Digitale Lese- und Schreibfähigkeiten müssen von Beginn an vermittelt werden. Dies umfasst das kritische Analysieren von Medieninhalten, das Erkennen von Falschinformationen und die Fähigkeit, Quellen zu bewerten.
  2. Medienbildung als vierte Kulturtechnik: Neben den klassischen Kulturtechniken muss Medienbildung systematisch verankert werden – mit Fokus auf aktive Nutzung, kritische Reflexion und kreative Gestaltung digitaler Technologien.
  3. Logisches Denken und Problemlösen als Fundament: Computational Thinking muss bereits in der Grundschule als grundlegende Denkweise gefördert werden, um Zusammenhänge zu erkennen, Abläufe zu strukturieren und logische Muster zu verstehen.
  4. Kollaboration und kreative Problemlösung: Statt reiner Wissensvermittlung müssen Grundschüler:innen früh lernen, mit digitalen Tools kreativ zu arbeiten, zu kollaborieren und eigene Lösungswege zu entwickeln.

Das neu entwickelte Kompetenzmodell berücksichtigt die kognitive und sprachliche Entwicklung von Grundschulkindern und strukturiert den Erwerb von KI-Kompetenzen in aufeinander aufbauenden Stufen:

Bereits vor dem Schuleintritt müssen bestimmte Fähigkeiten entwickelt werden:

  • Sprache sicher verstehen und nutzen
  • Einfache Bilder “lesen” und beschreiben können
  • Regeln und Reihenfolgen im Alltag erkennen
  • Erste Medienerfahrungen sammeln
  • Mit Materialien kreativ umgehen

Das Modell definiert vier zentrale Basiskompetenzen, die schrittweise aufgebaut werden:

  1. Multimodales Lesen & kritisches Verstehen:
    • Klasse 1: Einfache Bilder und Symbole deuten
    • Klasse 2: Unterschiedliche Medienformate vergleichen
    • Klasse 3/4: Erkennen, ob Inhalte echt oder manipuliert sind
  1. Algorithmisches Denken & Datenbewusstsein:
  1. Klasse 1: Einfache Handlungsanweisungen befolgen
  2. Klasse 2: Einfaches Codieren mit Symbolen
  3. Klasse 3/4: Verstehen, wie Daten gesammelt werden
  1. Medienkritik & ethisches Denken:
  1. Klasse 1: Digitale Bilder und Geschichten verstehen
  2. Klasse 2: Erste Fragen zu Datenschutz stellen
  3. Klasse 3/4: Digitale Spuren bewusst machen
  1. Interaktive Problemlösung & kreative Gestaltung:
  1. Klasse 1: Mit digitalen Tools experimentieren
  2. Klasse 2: Einfache digitale Geschichten gestalten
  3. Klasse 3/4: Erste KI-gestützte Inhalte erstellen

Die Niveaustufe 1 des KI-Kompetenzmodells wurde altersgerecht angepasst und in vier Kompetenzbereiche gegliedert:

1. Verstehen (Grundlegende KI-Konzepte & Unterschiede erkennen)

  • Klasse 1/2: Beispiele für KI im Alltag benennen, KI von normalen Computern unterscheiden
  • Klasse 3/4: KI-gestützte Inhalte von echten unterscheiden, grundlegende Abläufe einer Suchmaschine verstehen

2. Anwenden (KI-Tools altersgerecht nutzen & erste Datenschutzregeln beachten)

  • Klasse 1/2: Erste Befehle an digitale Assistenten geben, einfache Regeln für sicheren Umgang mit Daten verstehen
  • Klasse 3/4: Erste Fehler in KI-Anwendungen entdecken, Datenschutzregeln bewusst anwenden

3. Reflektieren (Erkennen, wie KI funktioniert & welche Fehler sie macht)

  • Klasse 1/2: Überlegen, wo KI hilft und wo nicht, erste Fehler bei KI-Anwendungen erkennen
  • Klasse 3/4: Reflektieren, wie KI beeinflussen kann, digitale Texte und Bilder kritisch betrachten

4. Mitgestalten (Einfache eigene KI-gestützte Inhalte erstellen & über KI nachdenken)

  • Klasse 1/2: Erste eigene digitale Inhalte erstellen, mit KI experimentieren
  • Klasse 3/4: Eigene KI-Ideen entwickeln, erste KI-gestützte kreative Projekte umsetzen

Besonders im Deutschunterricht lässt sich das neue Kompetenzmodell hervorragend integrieren, wie das Kompetenzraster für KI im Deutschunterricht zeigt. Hier werden die Kompetenzbereiche Schreiben, Lesen, Medien, Computational Thinking, Wortschatzarbeit sowie Sprechen und Zuhören um digitale Dimensionen erweitert:

  • Schreiben: Von digitalen Werkzeugen zum Nachspuren in Niveau A bis hin zum reflektierten Einsatz KI-gestützter Tools zur kreativen Textgestaltung in Niveau D
  • Schreibstrategien: Von ersten digitalen Notizen bis zur kritischen Nutzung von KI-Tools zur Texterstellung und -überarbeitung
  • Lesen und digitale Lesestrategien: Von digitalen Lesehilfen bis zur Prüfung von Texten auf Echtheit und zum Erkennen von KI-generierten Inhalten
  • Medien- und KI-Kompetenzen: Von einfachen digitalen Illustrationen bis zum Verständnis grundlegender KI-Konzepte und ethischer Aspekte

Das vorgestellte Kompetenzraster stellt einen wichtigen Ausgangspunkt für die Integration von KI-Kompetenzen in den schulischen Alltag dar. Es ist bewusst als adaptives Werkzeug konzipiert, das Schulen als Grundlage für ihre eigene digitale Transformation nutzen können. Jede Schule kann und sollte das Raster entsprechend ihrer spezifischen Gegebenheiten anpassen:

  • Berücksichtigung lokaler Voraussetzungen: Schulen können das Modell an ihre digitale Infrastruktur, das Vorwissen ihrer Lehrkräfte und die Vorkenntnisse ihrer Schülerschaft anpassen.
  • Schulspezifische Schwerpunktsetzung: Je nach pädagogischem Profil der Schule können bestimmte Kompetenzbereiche stärker gewichtet oder um spezifische Elemente ergänzt werden.
  • Koordination mit dem Schulprogramm: Das Kompetenzraster lässt sich in bestehende Schulentwicklungsprozesse und Medienkonzepte integrieren und kann diese sinnvoll erweitern.
  • Partizipative Weiterentwicklung: Schulgemeinschaften können das Raster als lebendiges Dokument betrachten, das durch Erfahrungen und Feedback von Lehrkräften, Schüler:innen und Eltern kontinuierlich verfeinert wird.

Diese Flexibilität ermöglicht es Schulen, einen individuellen Weg zur Integration von KI-Kompetenzen zu finden, der sowohl die Anforderungen eines modernen Bildungssystems erfüllt als auch die spezifischen Bedürfnisse und Ressourcen der jeweiligen Schulgemeinschaft berücksichtigt.

Die Einführung von KI-Kompetenzen in der Grundschule erfordert eine fundamentale Neudefinition der Basiskompetenzen. Das ursprüngliche KI-Kompetenzmodell nach Falck, Alles, Schulz und Flick setzt kognitive, sprachliche und technologische Fähigkeiten voraus, die erst systematisch entwickelt werden müssen.

Um Grundschüler:innen auf die digitale Zukunft vorzubereiten, müssen die traditionellen Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen für das digitale Zeitalter angepasst werden. Medienbildung muss als vierte Kulturtechnik etabliert werden. KI-Kompetenzen sollten schrittweise durch spielerische Erkundung, erste Anwendungserfahrungen und gezielte Reflexion aufgebaut werden.

Das hier vorgestellte angepasste Kompetenzraster bietet Schulen einen praktikablen Ausgangspunkt, um diese Herausforderung anzugehen. Es kann flexibel an die Bedürfnisse jeder Schulgemeinschaft angepasst werden und unterstützt Lehrkräfte bei der systematischen Integration von KI-Kompetenzen in den Unterrichtsalltag.

Fachkonferenzen stehen nun vor der Aufgabe, diese neuen Anforderungen aktiv in die schulischen Curricula zu integrieren. Nur durch eine systematische und frühzeitige Verankerung digitaler und KI-relevanter Kompetenzen kann die Grundschule Kinder auf eine zunehmend KI-geprägte Zukunft vorbereiten – und ihnen ermöglichen, nicht nur Konsumenten, sondern kritische, reflektierende und gestaltende Teilnehmer einer digitalen Gesellschaft zu werden.

Angepasstes Kompetenzraster mit digitalen und KI-Kompetenzen

Auch können wir das angepasste Kompetenzraster für unsere Schüler:innen zur Verfügung stellen.


Hier kannst du selbst einschätzen, wie gut du dein Wissen in echten Situationen anwenden kannst. Lies die Sätze und überlege: Kann ich das schon gut? Muss ich noch üben? Oder brauche ich Hilfe?


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